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06: Qualitätskriterien

Andy • Aug. 23, 2020
„Klasse statt Masse“ – das gilt auch bei Aktien. Worauf es bei der Auswahl wirklich ankommt

Seit dem letzten Blogeintrag geht es ans Eingemachte, nämlich die Auswahl und Bewertung von Unternehmen. Wie im Beitrag 05 erklärt wurde, sind für eine Investitionsentscheidung im Wesentlichen drei Schritte notwendig: Neben der Bereitstellung von langfristig nicht benötigtem „freien“ Kapital ist es zunächst die qualitative und abschließend die quantitative Analyse des entsprechenden Unternehmens.

Qualität vor Quantität

In diesem Beitrag wird die Analyse qualitativer Kriterien erklärt. Obwohl das Value Investing häufig als „harte“ und rein zahlenbasierte Art der Unternehmensbewertung wahrgenommen wird, ist dies falsch: Die qualitative Analyse eines jeden Unternehmens ist bei weitem wichtiger, als die quantitative. Ohne ein qualitatives Verständnis für das Unternehmen sowie dessen Funktionsweise, Aufbau und Führung, ist eine quantitative Analyse völlig wertlos, da die Kennzahlen sich schlichtweg nicht sinnvoll interpretieren lassen. Würde sich ausschließlich anhand von mathematisch berechenbaren Kennzahlen entscheiden lassen können, ob ein Unternehmen günstig oder teuer bewertet ist, würden Excel-Tabellen die bei Weitem besseren Value Investoren.

In diesem Sinne ist die qualitative Analyse stets chronologisch der quantitativen vorzuziehen. Hierzu werde ich eine Liste von insgesamt 15 Merkmalen vorstellen, die ich bei der Auswahl von interessanten Aktien beachte. Hierbei handelt es sich um etablierte Kriterien [1-4] sowie eigene Erweiterungen.

Informationsbeschaffung

Die qualitative Analyse von Unternehmen beginnt mit einem einfachen Kennenlernen. Das Ziel hierbei ist es zu verstehen, wie das Geschäftsmodell des Unternehmens funktioniert sowie was Besonderheiten der jeweiligen Branche sind. Um das Geschäftsmodell jedoch zu verstehen, müssen zunächst ausreichend Informationen über das entsprechende Unternehmen eingeholt werden.

Die wohl einfachste und gleichzeitig bequemste Art der Informationsbeschaffung ist Wikipedia. Wikipedia-Einträge haben den Vorteil, dass sie dem Leser schnell einen ganzheitlichen Überblick über ein Unternehmen erlauben. Typischerweise sind die Artikel derart aufgebaut, dass zunächst eine Kurzvorstellung des Unternehmens erfolgt, dann die historische Entstehung, einflussreiche Aktionäre, frühere Erfolge aber auch gelöste sowie ungelöste Skandale thematisiert werden. Wikipedia ist frei zugänglich und durch eine Vielzahl von mitwirkenden Autoren sehr aktuell. Auch sind die Quellen sauber dokumentiert, wodurch tiefergehende Recherchen möglich sind.

Kurzum: Einen Wikipedia-Eintrag zum Unternehmen zu lesen, in das investiert werden soll, dauert weniger als 10 Minuten und erklärt schon größtenteils dessen Geschäftsmodell sowie damit verbundene Chancen und Risiken. Natürlich sollte niemals bloß einer einzelnen Quelle vertraut, sondern immer weitere hinzugezogen werden – bestenfalls mit unterschiedlichen und kritischen Standpunkten.

Außerdem besonders geeignet für die Beschaffung von Informationen zu einem Unternehmen ist der sogenannte Investoren-Bereich der Homepage. Am einfachsten gelangst Du hierzu, wenn Du nach dem Unternehmensnamen plus „IR“ oder „Investor Relations“ googelst. Wenn Du also beispielsweise „BMW Investor Relations“ eingibst, landest Du auf derjenigen Unterseite der BMW-Homepage, die an Investoren gerichtet ist. Hier werden seitens des Unternehmens offizielle Informationen wie Geschäftsberichte, Aktionärsstruktur, Finanzkennzahlen aber auch Angaben über die Höhe der Schulden und deren Fälligkeit sowie wichtige Termine für Veröffentlichung von Geschäftsergebnissen zusammengefasst. Sehr schön sind die Investorenpräsentationen, die prägnant das Geschäftsmodell sowie finanzielle Kennzahlen darstellen. Für jeden Investor ist die Investor Relationsseite ein absoluter Pflichtbesuch vor jeder Investition!


Geschäfts- und 10-K Berichte: Des Investors bester Freund

Am aussagekräftigsten und damit wertvollsten für die Bewertung von Unternehmen sind die Geschäftsberichte. Für US-amerikanische Unternehmen sind es die sogenannten „10-K“ Berichte, die gemäß Auflagen der Börsenaufsicht SEC standardisiert aufgebaut sind und extrem zeiteffizient gelesen werden können. Der Geschäftsbericht wird mindestens jährlich, meist sogar quartalsweise, veröffentlicht und beinhaltet eine saubere Zusammenstellung der geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens. Geschäftsberichte bestehen aus mehreren Teilen: im Konzernlagebericht wird zunächst das grobe Geschäftsmodell sowie Risiken, die aus diesem hervorgehen beschrieben. Im Prognosebericht gibt die Unternehmensführung einen erwarteten Ausblick für die zukünftige Unternehmensentwicklung ab. Der Bereich Corporate Governance beschäftigt sich mit der Art der Unternehmensführung und der Einhaltung von rechtlichen Standards.


Der wichtigste Bestandteil von Geschäftsberichten ist jedoch der Konzernabschluss. In diesem Abschnitt wird der Unternehmenserfolg zahlenmäßig widergegeben: Die Gewinn- und Verlustrechnung gibt Auskunft über den erzielten Gewinn, die Kapitalfluss oder Cashflowrechnung beschreibt wieviel Geld dem Unternehmen zu- und abgeflossen ist und die Bilanz gibt Aufschluss über die Vermögenswerte, Eigenkapital und Schulden des Unternehmens. Hierzu jedoch in einem späteren Beitrag im Rahmen der quantitativen Analyse im Detail mehr.

Nicht zu vergessen: die Medien

Neben Wikipedia und dem unternehmenseigenen IR-Bereich eignen sich seriöse Zeitungen für die Beschaffung von Informationen. Etablierte Zeitungen wie FAZ, Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung oder für internationale Unternehmen auch Wall Street Journal sowie die New York Times sind nur wenige Beispiele. Über die Internetseiten dieser Zeitungen und der Suchfunktion können relevante Berichte gefunden werden. Das Besondere hierbei ist, dass diese Berichtserstattung nicht seitens des Unternehmens erfolgt, die Darstellung daher objektiver und kritischer ist. Doch auch hier gilt: Niemals bloß einer Zeitung bzw. Internetseite vertrauen. Grundsätzlich gilt: Je kleiner das Unternehmen, in das Du investieren willst, desto leichter ist die Kursmanipulation durch freund- oder feindliche Berichtserstattung. Neutralität und Seriosität der Quelle sollten immer hinterfragt werden.

A: Das Geschäftsmodell

Nachdem das Vorgehen bei der Informationsbeschaffung sowie beispielhafte Quellen vorgestellt wurden, geht es nun im Detail um qualitative Merkmale, nach denen bei der Bewertung von Unternehmen geschaut werden sollte. Hierzu gibt es insgesamt fünf verschiedene Bereiche: Geschäftsmodell, Markt, Unternehmenszustand, Eigentümerstruktur und Preis. Fangen wir mit dem Geschäftsmodell an.

1.    Stabiles Geschäftsmodell mit prognostizierbarer Entwicklung
Das Geschäftsmodell beschreibt die Art und Weise, wie das Unternehmen sein Geld verdient. Wo kauft es seine Rohwaren ein, was ist die wertschöpfende Leistung die es erbringt und wie verkauft es anschließend seine Produkte? Aus Investorensicht ist es wichtig, dass das Geschäftsmodell für Außenstehende leicht verständlich ist. Die grundlegenden, fundamentalen Einflüsse auf Wohl und Wehe des geschäftlichen Erfolges müssen Dir klar sein. Es klingt banal, doch nicht jedes Geschäftsmodell erfüllt dieses Kriterium: Der Fahrtvermittler Uber beispielweise kann seinen Investoren bis heute keine Aussage geben, wie er Geld verdienen und profitabel werden möchte.

Sofern das Geschäftsmodell verständlich ist, gilt es zu prüfen ob es a) stabil und b) prognostizierbar ist. Auch das klingt sehr banal, doch wird viel zu oft übergangen. Die Stabilität eines Geschäftsmodells hängt von vielen Faktoren ab, wie beispielsweise der Widerstandsfähigkeit gegen wirtschaftliche Abschwünge, Verfügbarkeit von benötigten Ressourcen und Vorprodukten oder dem grundsätzlichen Bedarf bei den Kunden nach den angebotenen Produkten oder Dienstleistungen. Weiterhin ist ein stabiles Geschäftsmodell prognostizierbar, wenn die Entwicklung der zukünftigen Umsätze für die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre abgeschätzt zumindest grob werden kann. Hier kommt es nicht darauf an, möglichst auf 1% genau die Entwicklung zu schätzen, sondern vielmehr, dass die grundsätzliche Tendenz möglichst langfristig und sicher stimmt.

2.    Stabile oder wenig schwankende Umsatz- und Gewinnentwicklung
Die Umsätze und Gewinne, die das Unternehmen generiert, sollten ebenfalls stabil oder wenig schwankend sein. Unternehmen, die ihre Gewinne in der Vergangenheit jährlich zwar nur um wenige Prozent steigerten, dies dafür aber kontinuierlich taten, sind aus Investorensicht deutlich einfacher zu bewerten, also diejenigen, deren Gewinne stark schwankten. Schwanken bereits vergangene Gewinne, können zukünftige Gewinne erst Recht nur schwer oder gar nicht prognostiziert werden.

3.    Widerstandsfähigkeit gegen Technologiekonzerne
Ein Punkt, der zukünftig stark an Bedeutung gewinnen wird, ist die Widerstandsfähigkeit des Geschäftsmodells gegen große Technologiekonzerne. Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft zählen nicht umsonst zu den wertvollen Unternehmen der Welt. Sie haben gemein, dass für sie das „The Winner Takes It All“ Prinzip gilt, das heißt, dass diese wenigen Unternehmen in ihren Branchen den Markt nahezu vollständig dominieren und keinen Platz für weitere, neue Wettbewerber lassen.

Für Unternehmen gilt es daher, dass sie entweder in Branchen aktiv sein sollten, die nicht zu den Hoch-Technologiebereich gehören oder aber über genügend Schutz verfügen sollten, um nicht von größeren, finanzstärkeren Unternehmen kopiert oder überflüssig gemacht zu werden.

4.    Keine übermäßige Übernahmeaktivitäten oder Fusionen
Als letztes Kriterium für ein gelungenes Geschäftsmodell ist zu nennen, dass das Unternehmen nicht auf große Übernahmen oder Fusionen angewiesen sein sollte, um langfristig profitabel bestehen zu können. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Telekombranche, bei der die heutigen Konzerne durch gigantische Übernahmen entstanden sind (beispielsweise Vodafone übernahm Mannesmann im Jahr 2000 für 180 MRD EUR, AT&T kaufte Time Warner für 85 MRD USD im Jahr 2019).

Gegen Übernahmen an sich ist generell nichts einzuwenden. Übernahmen können sogar sinnvoll sein, wenn kleinere Wettbewerber mit interessanten Technologien gekauft und anschließend hoch skaliert werden. Microsoft hat das beispielsweise mit Skype gemacht, das sie nach der Übernahme integriert und erfolgreich Vervielfältigt haben. Dadurch können enorme Werte geschaffen werden!

Bei Fusionen oder Übernahmen „unter Gleichen“, wenn also für den Kauf extrem viel Schulden gemacht werden müssen, besteht die Gefahr, einen zu hohen Preis bezahlt zu haben. Des Weiteren drückt die Schuldenlast, sodass anschließend oft Unternehmensteile verkauft werden müssen um die Schulden zu begleichen. Dies geschieht gerade bei Bayer, die Monsanto unter Berücksichtigung der Prozessrisiken viel zu teuer übernommen und deswegen allein im zweiten Quartal 2020 9,5 MRD EUR Verlust gemacht haben.

B: Der Markt

Neben dem Geschäftsmodell gilt es zusätzlich, den Markt und dessen Bedingungen zu untersuchen, auf dem das Unternehmen seine Produkte oder Dienstleistungen anbietet.

5.    Präsenz auf mehreren Märkten und Regionen
Grundsätzlich sollte ein Unternehmen zeitgleich auf mehreren Regionen, also beispielsweise Europa, China oder den USA, aktiv sein. Des Weiteren sollte ein Unternehmen bestenfalls über mehre unabhängige Sparten verfügen und dadurch zeitgleich auf mehreren Märkten innerhalb einer Region aktiv sein. Der Chemiekonzern BASF betreibt beispielsweise sowohl die Förderung von Erdöl, die er intern weiterverarbeitet als auch nach extern verkauft. In weiteren Geschäftsbereichen stellt BASF hingegen Kunststoffe, Chemikalien und Tierfutter her. Die Geschäftsbereiche arbeiten und wirtschaften größtenteils unabhängig voneinander, wobei eine grundsätzliche Konjunkturabhängigkeit in dieser Branche immer vorliegt.

Durch die gleichzeitige Präsenz auf mehreren Regionen und Märkten sinkt das Risiko von wirtschaftlichen Abhängigkeiten gegenüber einer bestimmten Region bzw. einem Markt. Besonders deutlich wurde dies während der Corona-Krise, denn während Europa von dem Virus zutiefst getroffen war, hatte China bereits das Schlimmste überstanden und kehrte als erstes zur „Normalität“ zurück.

6.    Dominante Markstellung durch starke Marken und Produkte
Unternehmen im Sinne des Value Investing weisen besonders dominante Markstellungen ihrer Marken oder Produkte auf. Diese Dominanz hilft ihnen, höhere Preise durchzusetzen als auch sich vor Wettbewerbern zu schützen.

Apple beispielsweise hat eine enorm wertvolle Marke mit hohem Qualitätsversprechen. Deswegen kann Apple seine iPhones zu einem Preis von deutlich über 1500€ anbieten, ohne seine Kunden zu vergraulen. Dieser Markenwert führt dazu, dass die Marge an jedem verkaufen iPhone deutlich höher ist als die der Konkurrenz.

7.    Kein Kartell auf dem Absatzmarkt
Freier Wettbewerb ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich Unternehmen kontinuierlich verbessern und weiterentwickelte Produkte sowie Dienstleistungen anbieten. Freier Wettbewerb ist zwar aus Unternehmenssicht „teuer“, da Investiert werden muss, doch langfristig trägt er dazu bei, dass sich der Bessere mit den erfolgreicheren Produkten durchsetzt. Für den Absatzmarkt bedeutet es, dass der freie Wettbewerb über den Preis und Erfolg des Produktes entscheidet, nicht etwaige Absprachen der Hersteller.

8.    Kein oder sehr geringer staatlicher Einfluss auf dem Absatzmarkt
Des Weiteren darf der Absatzmarkt zwar staatlich beaufsichtigt werden, er sollte jedoch nicht reguliert sein. Staatlich regulierte Märkte können aus sozialer Sich sehr sinnvoll sein, beispielweise beim öffentlichen Nahverkehr, Gesundheitswesen oder dem Sozialen Wohnungsbau, doch kann eine Regulierung zu Verzerrungen im Markt führen hinsichtlich der Preis- und Kostenkalkulationen. Hier besteht die Gefahr, dass Unternehmen notwendige Preiserhöhungen nicht weitergeben dürfen und somit Investitionen ausbleiben oder die Rentabilität des Unternehmens leidet.

Nach dieser einleitenden Vorstellung werde ich nächste Woche werde ich weitere qualitative Kriterien hinsichtlich Eigentümerstruktur, Unternehmenszustand und Preis vorstellen.


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