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05: Kein Geld, keine Musik

Andy • Aug. 16, 2020
Ohne Kapital läuft an der Börse bekanntlich wenig. Doch nicht die absolute Höhe, sondern dessen Aufteilung entscheiden über erzielte Rendite

„The secret to your financial success is inside yourself“ – diese Worte stammen aus „The Intelligent Investor“ von Benjamin Graham, dem Lehrer und Mentor von Warren Buffett [1]. Das Buch setzt sich grundlegend mit dem Value Investing auseinander und wurde seit der Erstauflage im Jahr 1949 stetig aktualisiert [2]. Grahams Worte sind damals wie heute uneingeschränkt gültig. Sie besagen, dass das persönliche Verhalten von Investoren maßgeblich über die erzielte Rendite entscheidet: Wer kritisch denkt, diszipliniert und geduldig investiert, wird selbst in schlechten Börsenphasen Gelegenheiten erkennen. Wichtig ist, sich nicht von der Stimmung oder den Empfehlungen anderer Investoren irritieren zu lassen. Graham bringt den Erfolg von Investoren prägnant in einen Satz: „In the end, how your investments behave is much less important than how you behave” [1].

Praktische Umsetzung

Was im Buch jedoch nicht steht: Erfolg vermittelt für Außenstehende ein sehr trügerisches Bild. Denn nach Außen repräsentiert Erfolg immer das bloße Ergebnis. Was die Wenigsten jedoch sehen oder gar erfragen, ist der Weg zum Erfolg. Nachhaltiger Erfolg stellt sich in den wenigsten Fällen ad hoc ein. Eine solide Vorarbeit und systematisches Vorgehen sind essenziell. Aus diesem Grund habe ich in den ersten Beiträgen gezielt Grundlagen behandelt, wie beispielsweise typische Anfängerfehler oder psychologische Faktoren beim langfristigen Vermögensaufbau.

In den nächsten Beiträgen geht es nun um die praktische Umsetzung und die Auswahl von Unternehmen. Um die Themen in gebührendem Detaillierungsgrad behandeln zu können, werde ich die Inhalte auf mehrere Beiträge verteilen. Im ersten Schritt beschreibe ich die notwendige Voraussetzung für den Kauf von Aktien, nämlich verfügbares freies Kapital und wie es sinnvoll aufgeteilt werden soll. Im zweiten Schritt stelle ich insgesamt 15 qualitative Merkmale zur Auswahl von Unternehmen vor. Hierzu zählen Faktoren wie Geschäftsmodell, Markt, Eigentümerstruktur oder Unternehmenszustand. Im dritten Schritt erfolgt der Übergang zu quantitativen Faktoren und gängigen Kennzahlen, wie beispielsweise Verschuldungsgrade, Margen und Renditen. Werden qualitative und quantitative Merkmale kombiniert und gemeinsam interpretiert, lässt sich final der Wert des Unternehmens ermitteln und somit ein Indikator ableiten, ob der Preis der Aktie günstig, angemessen oder zu hoch ist.


Wieviel Geld braucht ein Investor?

„Kein Geld, keine Musik“ besagt ein bekanntes österreichisches Sprichwort, das auch vollkommen zutreffend für die Börse ist. Denn Kapital stellt eine zentrale Voraussetzung für Investitionen dar. Die wohl häufigste Frage von Einsteigern ist diejenige, wie hoch das Startkapital sein soll, um überhaupt investieren zu können. Reichen bereits wenige Tausend oder sollten es doch mindestens 10, 20 oder gar 50 Tausend Euro sein?

In diesem Fall ist die Antwort ziemlich einfach, denn die absolute Höhe des Startkapitals ist für die erzielte Rendite nahezu unbedeutend. Solange es sich um freies Kapital handelt und darüber hinaus genügend Rücklagen für schwarze Tage, siehe Beitrag 04, verfügbar sind, reichen selbst kleine Beträge als Grundstock für den Kauf von Aktien. Zu beachten ist natürlich, dass bei kleinen Beträgen eine Diversifikation, also Streuung des Risikos auf viele verschiedene Unternehmen, nur eingeschränkt möglich ist. Außerdem machen die Kaufgebühren einen prozentual höheren Anteil aus, je kleiner das Ordervolumen ist. Dennoch sind dies keine gravierenden Nachteile, wenn der Aufbau von Vermögen langfristig betrieben werden soll. Durch reinvestierte Dividenden und zukünftige Sparraten steigen Diversifikation und Ordervolumen sukzessive.

Mein Start

Ich selbst habe während der Finanzkrise vor mehr als 10 Jahren mit ca. 4500€ angefangen zu investieren und dieses Geld zunächst gleichmäßig auf nur drei Unternehmen verteilt, was jeweils 1500€ entsprach. Später kamen weitere dazu, sodass sich nach und nach den Anteil am Depot und damit die Abhängigkeit von jedem Unternehmen reduzierte. Meine damalige Bank hat mir recht hohe Kaufgebühren berechnet, sodass ich pro Kauf mit guten 20€ jeweils ca. 1,5% des investierten Betrages abdrücken musste. Zwischenzeitlich sind die Gebühren der Banken jedoch deutlich gesunken. Insbesondere Online-Banken und Broker ermöglichen bereits für etwa 5€ Aktien zu handeln. Insofern kann mittlerweile selbst mit geringerem Startkapital eine Verteilung auf ein halbes Dutzend oder mehr Unternehmen kostengünstig realisiert werden.

Wie relativ unbedeutend die absolute Höhe des Startkapitals ist, zeigt das folgende Diagramm. Zum Vergleich stehen langfristige Entwicklungen zweier Vermögen. In einem Fall beträgt das Startkapital ziemlich hohe 10.000€ während es im anderen Fall bei 0€ liegt. Die monatlichen Sparraten betragen jeweils 200€ und die erzielte Rendite nach Steuern und Kosten 5,79% pro Jahr, was vor Steuern und Kosten 8% entspricht und eine konservative, realistische Rendite langfristiger Aktienanlagen ist, siehe Beitrag 03.


Nach 40 Jahren entstehen Vermögen von 375.000€ bzw. 476.000€, sodass die anfänglichen 10.000€ zu einem Unterschied von ca. 100.000€ führen. Das ist legitim, denn natürlich trägt die Höhe des Startkapitals zum Vermögensaufbau bei. Doch viel interessanter und mächtiger ist der Einfluss der Zeit und die des Zinseszinses: Würde zum Beispiel der Investor zunächst 10.000€ Startkapital ansparen wollen und die monatlichen Einzahlungen von 200€ ohne Zinsen auf dem Konto liegen lassen, bräuchte er hierfür 50 Monate bzw. 4,2 Jahre. Grob geschätzt würden ihm also durch den anfänglichen Kapitalaufbau etwa 5 Jahre weniger Zeit zur Verfügung stehen, als dem Investor, der ohne Startkapital loslegt. Er könnte sein Kapital „nur“ 35 Jahre arbeiten lassen, wodurch ein Vermögen von „nur“ ca. 348.000€ entstünde. Dieses wäre somit geringer, als das Kapital desjenigen Investors, der bei null anfangen aber 40 Jahre investieren könnte.

Unter dem Link kannst Du die Höhe Deines Startkapitals und Deine Sparraten individuell eingeben, um den Effekt für Dein Vermögen für verschiedene Anlagedauern zu beziffern (zum Tool).

Dieses einfache, doch eindrucksvolle Beispiel zeigt, dass das Manko eines geringen Startkapitals nicht überbewertet werden sollte. Der Vermögensaufbau sollte daher individuell und unabhängig von den eignen „Startbedingungen“ wie Erbe oder Schenkungen angegangen werden, denn diese sind zumeist durch die familiäre Situation vorbestimmt und können relativ wenig aktiv beeinflusst werden. Vor allem durch einen langfristigen Anlagezeitraum sowie kontinuierliche Disziplin des Investors, monatliche Sparbeträge zu erbringen und regelmäßig zu investieren, kann hingegen selbst mit geringem Startkapital über die Zeit ansehnliches Vermögen aufgebaut werden.

Kapital und der Sinn von Rücklagen

Kommen wir zum anfänglichen Zitat von Benjamin Graham: Um langfristig zu investieren und dabei ordentliche Renditen erzielen zu können, ist es immens wichtig, auch schwierige Börsenphasen durchzustehen und diszipliniert zu bleiben. Wer zudem über ausreichend Cash-Reserven verfügt, wird günstige Kaufgelegenheiten sehen, während andere panisch reagieren und ihre Aktien zu Schnäppchenkursen abstoßen. In diesem Sinne gilt es, sich Gedanken über die Aufteilung des freien Kapitals zu machen. Zur Erinnerung: Als freies Kapital bezeichne ich das Kapital um die persönlichen Rücklagen geminderte Geld, was langfristig nicht benötigt wird und investiert werden kann, siehe Beitrag 04.

Das freie Kapital, das grundsätzlich für den Kauf von Aktien zur Verfügung steht, sollte niemals vollständig investiert werden, sondern immer ein gewisser Teil als sogenannte Cash-Reverse bestehen. Denn an der Börse sind regelmäßige „Crashs“ völlig normal und gehören zum Tagesgeschäft, ganz egal ob sie heftig oder moderat sind, kurz oder lang andauern. Fallende Aktienkurse und irrationales Verhalten der Investoren gehören zur Börse, wie der Muskelkater zum Sport: Er zeigt, dass man kurzfristig übertrieben hat, aber ändert nichts an der Tatsache, dass Sport grundsätzlich sehr sinnvoll ist und Gutes für Geist und Seele bewirkt.

Kurzum: Cash-Reserven sind enorm wichtig, um in Krisenzeiten liquide zu sein und zu günstigen Preisen massiv investieren zu können. Der berühmte Investor Warren Buffett bezeichnet das als die „1000 Dollar Regel“, die er vor vielen Jahren von seinem Großvater lernte und heute auf sein Unternehmen Berkshire Hathaway übertragen hat – mit der Ergänzung, dass aus 1000 Dollar bei ihm 10 Milliarden Dollar wurden [3]. Kein Wunder also, dass er während der Finanzkrise im Jahr 2008 in nur 25 Tagen 15,6 Mrd. USD investieren und viele Unternehmensanteile zum Discounterpreis kaufen konnte [4], während der Markt hochgradig ausgetrocknet war und die Banken Angst hatten, überhaupt Geld zu verleihen.

Die spannende Frage ist nun: In welchem Verhältnis sollte das freie Kapital aufgeteilt werden? Und wie so oft, ist die Antwort individuell. Sie hängt von der Höhe der jeweiligen Marktsituation, der Relation von monatlichen Einzahlungen zur Depotgrößte sowie persönlichen Geduld ab. Grundsätzlich gilt, dass je geringer die monatlichen Einzahlungen in Relation zur gesamten Größe des Depots sind, desto weniger beeinflusst jeweils ein einzelner Neu- oder Zukauf die gesamte Rendite. Das richtige Timing gewinnt hier an Bedeutung, denn mit steigendem Depotvolumen kommt es verstärkt darauf an, in den richtigen Zeitpunkten relativ umfangreiche Käufe zu tätigen. 

Des Weiteren lohnt sich ein Blick auf die Marksituation als Ganzes: Denn je höher die Kurse und je schneller sie gestiegen sind, desto vorsichtiger sollte man werden, da die allgemeine Wahrscheinlichkeit für Rückschläge zunimmt. So sind beispielsweise die Kursindizes des deutschen DAX und des amerikanischen S&P 500 seit ihren Tiefstständen im März 2020 innerhalb von weniger als fünf Monaten um etwa 42% gestiegen, zuzüglich eventueller Dividendenzahlungen [5]. Vor dem Hintergrund der weiterhin negativen wirtschaftlichen Aussichten erscheint dieser Anstieg vorwiegend durch finanzpolitische Maßnahmen der Staaten und Zentralbanken begründet und ist somit fragil. Dennoch: Keiner, wirklich keiner, kann die zukünftige Börsenentwicklung verlässlich vorhersagen. Daher ist ein jahrelanges Warten auf den großen Knall und gar nicht zu investieren ist genauso falsch, wie das gesamte freie Kapital auf einmal zu verschießen.


Zuletzt spielt auch die Geduld und persönliche Erfahrung des Investors eine Rolle, wieviel freies Kapital direkt investiert und wieviel für „Schnäppchen“ reserviert werden soll. Je geduldiger und erfahrener der Investor ist, desto leichter fällt es ihm, hohe Kurse „auszusitzen“ und auf günstige Gelegenheiten zu achten. Auch wenn diese erst in einigen Jahren kommen sollten.

Praxisbeispiel: 60-40-Regel

Ich persönlich budgetiere mein freies Kapital gemäß meiner 60-40-Regel. Etwa 60% des freien Kapitals stehen kurzfristig für Investitionen bereit, während die restlichen 40% als Cash-Reserve dienen und für günstige Kaufgelegenheiten in Crashphasen vorbehalten bleiben. Sobald ich ca. 1500 bis 2500€ an kurzfristigem freiem Kapital angehäuft habe, kaufe ich neue Aktien. Das übrige Geld verbleibt als Cash oder investiert in hochgradig liquide Anleihen von ausfallsicheren Staaten wie USA, Deutschland oder Schweiz zeitlich unbefristet. Dadurch, dass mein Depotvolumen bereits um ein Vielfaches größer ist als die monatlich neu hinzukommenden Einzahlungen aus Ersparnissen und Dividendenzahlungen, ist bei mir die hohe Gewichtung der Rücklagen sinnvoll. Würde mein Depot jedoch ein geringeres Volumen aufweisen, böte sich eine stärkere Gewichtung des kurzfristigen Investitionsbudgets an. Zudem habe ich mittlerweile einen langen Geduldsfaden und kann der Versuchung widerstehen, Aktien zu kaufen, wenn mich der Preis nicht vollkommen überzeugt.

Fazit

Es gibt keinen Mindestbetrag, der notwendig ist, um überhaupt in Aktien investieren zu können. Vielmehr reichen schon einige hundert bis tausend Euro als Startkapital. Wichtiger als die absolute Höhe ist jedoch vor allem der Umstand, dass Investoren auf dieses „freie“ Kapital langfristig nicht angewiesen sind. Nur so wird die Gefahr gemindert, zu Tiefstkursen Aktien verkaufen zu müssen wenn Kapital dringend benötigt werden sollte. Noch klüger ist es, darüber hinaus das freie Kapital in zwei Töpfe zu unterteilen: In einen Teil der kurzfristig investiert werden kann und einen Teil, der als Cash-Reserve dient und für günstige Kaufgelegenheiten vorgesehen ist. Die prozentuale Aufteilung zwischen den beiden Töpfen richtet sich nach der aktuellen Marktphase sowie dem Verhältnis der monatlichen Sparraten zum Depotvolumen.

Das Quellenverzeichnis zu diesem Eintrag findest Du hier.
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