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21: 2022 - Was ein (Börsen-)Jahr!

Andreas Gomer • Jan. 21, 2023

Das Jahr 2022 hat Investoren wenig Freude bereitet, denn die Kurse für Aktien und Anleihen gingen rund um die Welt steil nach unten. Doch warum eigentlich? Und was bedeutet es für die Zukunft?


Ich habe eine Tradition: Rund um Silvester, oder spätestens aber in der ersten Januarwoche, blicke ich auf das zurückliegende Finanz-Jahr und werte aus, wie sich mein Depot entwickelt hat. Und 2022 hat durchaus Potenzial, als ein „besonderes“ Jahr gewertet zu werden: Gestartet war das Jahr mit besten wirtschaftlichen Aussichten. Corona schien global an Bedeutung zu verlieren, die Inflation kam zwar zurück, blieb jedoch im erträglichen Rahmen. Aber viel wichtiger: Im großen Ganzen herrschte geopolitischer Frieden.


Diese Ruhe war ab Frühjahr 2022 dahin. Erst brach der Krieg in der Ukraine aus, dann folgte die Energiekriese samt zweistelligen Inflationsraten. Um letztere zu bekämpfen, begannen ab Herbst Zentralbanken rund um die Welt die Zinsen, die vorher fast ein Jahrzehnt lang auf historisch niedrigem Niveau lagen, massiv anzuheben, siehe Abbildung 1. Zum Ende des Jahres meldete sich dann auch noch Corona wieder und schlug mit voller Wucht in China zu.



Krieg, Inflation, Pandemie. Und Zinsen.


Natürlich blieben auch die Aktienmärkte von all diesen Ereignissen nicht unbetroffen. Doch so schlimm Krieg, Corona und Inflation auch sind, den wohl größten Einfluss auf die Entwicklung der Börsenkurse hatte der Zinsanstieg.


Zinsen sind das Öl im Getriebe der Wirtschaft. Auf der operativen Unternehmensebene, also im Tagesgeschäft, beeinflusst die Zinshöhe, wie hoch die Kapitalkosten des Unternehmens sind. Denn die Unternehmen müssen sich Kapital besorgen um Fabriken zu bauen und darin Produkte zu fertigen. Je höher diese Kapitalkosten sind, desto mehr muss das Unternehmen von jedem Euro den es einnimmt, für Zinszahlungen ausgeben. Folglich bleibt dadurch weniger Gewinn übrig, der den Eigentümern des Unternehmens, also den Aktionären, ausgezahlt werden kann. Und wenn der Gewinn fällt, fällt auch der Wert des Unternehmens – was letztendlich zu einem geringeren Aktienkurs führen muss.


Neben dem operativen Geschäft, belasten höhere Zinsen aber auch die Investoren. Denn Beteiligungen an Unternehmen, sprich durch den Kauf von deren Aktien, gelten als risikoreiche Investitionen. Dieses Risiko ist höher als beispielsweise bei Investitionen in Anleihen oder Festgeld, was dazu führt, dass Investoren eine höhere Rendite von Aktien erwarten, als etwa bei Anleihen oder Festgeld. Dies wird als Risikoprämie bezeichnet. Historisch lässt sich sagen, dass Aktien über einen langen Zeitraum in etwa mit 8 bis 12 % pro Jahr rentieren. Steigt nun der allgemeine Marktzins, so steigt auch die Rendite von risikoarmen Investitionsklassen. Dies führt dazu, dass der Renditeunterschied zwischen risikoreichen und risikoarmen Investitionsklassen sinkt. Investoren werden somit weniger belohnt, wenn sie ein Investitionsrisiko eingehen und ihr Geld in Aktien anstatt in Anleihen stecken. Dies führt dazu, dass Aktien in Hochzinsphasen unattraktiver werden.


Es gilt: genaues Hinschauen!


Wieso erzähle ich das? Nun, weil es wichtig ist zu verstehen, wieso im Jahr 2022 bestimmte Aktien besonders stark gefallen sind, während andere haben nur wenige Federn lassen müssen.


Die oben beschriebene Unattraktivität von Aktien in Zeiten von hohen Zinsen – und darauf bewegen wir uns derzeit zu – trifft manche Aktien stärker, manche schwächer. Vor allem diejenigen Unternehmen, die vorher schon hoch bewertet waren, also ein hohes KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) hatten wie die Tech-Werte Apple, Alphabet, Microsoft, PayPal oder Tesla, und sich diese hohe Bewertung durch zukünftiges, überdurchschnittlich starkes Gewinnwachstum noch haben erarbeiten müssen, verlieren deutlich an Gunst der Investoren. Denn wenn das Wachstum weniger stark ausfallen sollte als prognostiziert – und die Prognosen sind immer rosig – bleibt das KGV auch über die nächsten Jahre hoch.


Weiterhin leiden in Hochzinsphasen Aktien von Unternehmen aus Entwicklungsländern, den sogenannten Emerging Markets, wie China, Taiwan, Indien oder Brasilien, überdurchschnittlich stark. Denn Fakt ist: Das Investitionsrisiko in Entwicklungsländern ist, wie der Name es schon vermuten lässt, höher als in Industriestaaten, die bereits eine gewachsene und etablierte Wirtschaftsstruktur haben. Wenn nun global die Aktienkurse fallen, werden für Investoren Beteiligungen an Unternehmen in Industriestaaten – unter Berücksichtigung von Chancen und Risiken – günstiger und damit attraktiver, als in Entwicklungsländern. Folglich ziehen Investoren Gelder aus Entwicklungsländern ab, was deren Kurse drückt.


In Zahlen ausgedrückt: Der MSCI World, der den Fokus auf Industriestaaten hat, fiel im Jahr 2022 um 12,8% [2], während der MSCI Emerging Markets, der in Entwicklungsländer investiert, um 14,9% [2] gefallen ist – ein Renditeunterschied von 2,1%.


Ausblick für die Zukunft


Was bedeutet es für die Zukunft? Nun, es ist davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren sowohl die Inflation als auch die Zinsen bei ca. 3 bis 5% pro Jahr schwingen werden.


Der gestiegene Zinssatz wird dazu führen, dass Investoren bei Ihrer Auswahl die Verschuldung der Unternehmen stärker berücksichtigen werden. Denn je finanziell stabiler ein Unternehmen dasteht, desto geringer sind seine Aufwendungen für Zinszahlungen. Höhere Zinsen führen in diesem Fall also nicht zu einem deutlichen Gewinnrückgang. Neben der klassischen Eigenkapitalquote, kann die Verschuldung eines Unternehmens daran bemessen werden, wie hoch der Anteil von Zinszahlungen am EBIT (Ergebnis vor Steuern und Zinsen) ist. Je geringer dieser Anteil, desto unkritischer ist die Verschuldung. Abbildung 2 zeigt eine Auswahl von Unternehmen sowie den jeweiligen Anteil der Zinszahlungen am EBIT für die Geschäftsjahre 2016 bis 2021.



Während Unternehmen wie Verizon (Telekommunikation), Saint-Gobain (Industrie) oder BASF (Chemie) einen hohen Anteil von ca. 15 bis 20% des EBIT für Zinszahlungen ausgeben, ist es bei Alphabet (Software) umgekehrt: Unterm Strich hat das Unternehmen mehr Zinsen erhalten, als es bezahlen musste. Microsoft (Software), Inditex (Bekleidung) oder Visa (Zahlungsabwicklung) geben einen vernachlässigbar kleinen Anteil des EBIT für Zinsen aus.



Weiterhin wird, wie bereits oben beschrieben, die Höhe der Bewertung als solches relevanter werden. KGV deutlich jenseits der 20 werden zunehmend in Frage gestellt, sofern nicht die entsprechende Bilanzqualität vorliegt. Abbildung 4 stellt die KGV auf Basis des jeweiligen Jahresschlusskurses für betreffende Unternehmen zusammen. Hieran wird ersichtlich, dass Microsoft, Visa und Alphabet zu Beginn des Jahres 2022 ein besonders hohes KGV hatten - sie waren somit besonders anfällig für Rücksetzer.



Andererseits wird die hohe Inflationsrate dazu führen, dass Unternehmen versuchen werden, die Kostensteigerungen an Kunden weiter zu geben. Und hier wird sich Spreu von Weizen trennen: Denn diejenigen Unternehmen, die ihren Vertriebskanal kontrollieren und eine hohe Einkaufsmacht haben, werden die Kostensteigerungen leichter an den (End-)Kunden weitergeben können, als diejenigen mit einem schwachen Vertriebsmodell. Dies sind etwa solche, die zwischen sich und dem Endkunden einen (dominanten) Zwischenhändler haben.


Kurzum: Preissetzungsmacht ist Trumpf in Zeiten von Inflation. Dass diese Preissetzungsmacht geschickt genutzt werden kann, zeigten beispielsweise die Automobilbauer im letzten Jahr. Denn während die Stückzahl der verkauften Fahrzeuge zurück ging, konnte der Umsatz und letztlich der Gewinn überproportional stark gesteigert werden. Es wurden also weniger, dafür aber deutlich teurere Autos verkauft.


Value Investing


Sowohl Zins als auch Inflation begünstigen zukünftig tendenziell die Investition in Substanzunternehmen (Value Investing). Substanzunternehmen sind solche, die im wirtschaftlichen Sinne als „ausgewachsen“ gelten und seit Jahrzehnten im Markt etabliert sind. Häufig operieren solche Unternehmen in Branchen, die als langweilig und wenig zukunftsträchtig gelten, wie etwa Versicherungen, Energie oder Konsumgüter – was dazu führt, dass sie gerne mal übersehen werden. Vor allem in Jahren, wenn an der Börse Partystimmung ist.


Die Strategie, vorwiegend in Substanzunternehmen zu investieren hat sich für mich im letzten Jahr ausgezahlt. Am Ende des Jahres stand ein kleines Plus von 2,8% - was für mich im Gesamtkontext der globalen Ereignisse des Jahres ganz okay ist. Immerhin fiel der DAX im Vergleichszeitraum um 15,5%, siehe Abbildung 5. Wie Warren Buffett zu sagen pflegt: „An der Börse gibt es gute Jahre, schlechte Jahre und irgendwas dazwischen“.



Ich persönlich freue mich sehr auf die nächsten (Börsen-)Jahre. Der Zinsanstieg wird dazu führen, dass viele Spinnereien der letzten Jahre, wie Bitcoin, NTFs oder gehypte Wasserstoff, Elektro oder Meme-Aktien, in der Realität ankommen. Ja, es wird Tränen geben. Andererseits werden sich für Investoren neue Möglichkeiten und Chancen ergeben, mit einfachster Mathematik und Verstand, Aktien von tollen Unternehmen zu kaufen – und das zu angemessen Kursen!


Das Quellenverzeichnis zu diesem Eintrag findest Du hier.


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Vielen Dank und viel Spaß beim Weiterlesen,

Dein Andy

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