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10: Günstig? …oder einfach nur billig?

Andy • Okt. 28, 2020
Gefallene Kurse verleiten oftmals dazu, Aktien zu Unrecht als günstig einzustufen. Der Unterschied zwischen günstig und billig ist jedoch entscheidend für den Erfolg einer Investition.

Das Jahr 2020 stellt für viele Investoren eine Achterbahnfahrt da: Im März brachen innerhalb von wenigen Tagen die Börsen rund um die Welt in einem derart staken Ausmaß zusammen, wie in den letzten 30 Jahren nicht [1]. Doch nur kaum sechs Monate später erreichen viele Indizes wie DAX, Dow Jones, S&P 500 oder NIKKEI 225 die Vorkrisenniveaus [2].

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum sich einige Aktien bereits nach so kurzer Zeit erholen konnten, während andere nach wie vor bei sehr niedrigen Kursen notieren? Wie können Investoren gezielt zwischen der ersten und zweiten Kategorie unterscheiden? Die Antwort ist trivial: Denn gefallene Kurse können dazu führen, dass eine Aktie entweder günstig, und damit ein Kaufkandidat, oder einfach nur billig werden kann. Um erfolgreich investieren zu können, ist es zwingend notwendig, den Unterschied zwischen „günstig“ und „billig“ zu kennen.

Preis und Wert

Aktien sind Anteile von börsennotierten Unternehmen und die Aktionäre sind somit Teileigentümer. Daher tagen Aktien immer einen bestimmten Wert in sich. Anders als der Preis einer Aktie, kann der Wert nicht präzise bestimmt, sondern muss immer abgeschätzt werden. Er hängt von vielen objektiven aber auch subjektiven Faktoren ab. Die wichtigsten die Kapitalstruktur, Qualität und zukünftige Aussichten des zugrundeliegenden Unternehmens.

Der Preis einer Aktie ist hingegen der Aktienkurs und kann täglich eingesehen werden. Dabei wird der Börsenkurs nach dem marktwirtschaftlichen Prinzip bestimmt, nämlich durch Angebot und Nachfrage. Gibt es mehr Käufer als Verkäufer, steigt der Kurs einer Aktie. Möchten mehr Investoren verkaufen als kaufen, fällt der Kurs. So einfach ist das. Es klingt paradox, doch der Preis und der Wert einer Aktie haben nichts miteinander zu tun.

Wenn Aktien billig werden…

Wie wir im März dieses Jahres gesehen haben - und auch in Zukunft immer wieder sehen werden - können die Kurse von Aktien sehr schnell und sehr stark fallen. In einigen Fällen ergeben sich daraus sehr lukrative Kaufgelegenheiten. Doch in anderen Fällen ist der Absturz absolut berechtigt und ein Kauf der Aktie wäre für den Investor wahrscheinlich pure Geldvernichtung. Im letzteren Fall ändert sich nicht nur der Preis, sondern der Wert einer Aktie. Was sind also mögliche Gründe?

Verwässerung der Anteile
Maßgeblich für ihren Wert, ist der Anteil, den eine Aktie am Unternehmen repräsentiert. Wenn eine beliebige Aktiengesellschaft (AG) beispielsweise auf genau 100 Aktien aufgeteilt ist, entspricht jede einzelne Aktie genau 1% Eigentümerschaft am Unternehmen. Stellen wir uns zwei ansonsten völlig identische Unternehmen AG1 und AG2 vor. Während AG1 ihr Kapital 100 Aktien verteilt hat, hat AG2 jedoch ihr Kapital auf 1000 Aktien verteilt. Für einen rational denkenden Investor ist klar, dass der Wert der ersten Aktie 10 Mal so hoch ist, wie der zweiten. Doch genau das wird an der Börse sehr oft nicht falsch bedacht:

Vor allem in Krisenzeiten ist die sogenannte Kapitalerhöhung für börsennotierte Unternehmen eine gängige Möglichkeit, sich neues Geld zu beschaffen. Dabei „erschafft“ das Unternehmen zunächst neue Aktien und verkauft sie anschließend an Investoren. Der Erlös aus dem Verkauf fließt dem Unternehmen anschließend als Eigenkapital zu. Allerdings wird bei diesem Vorgang der Anteil der bisherigen Eigentümer verwässert. Wenn die AG1 aus dem obigen Beispiel zusätzlich 100 neue Aktien herausgibt, steigt das Gesamtkapital auf 200 Aktien. Im Umkehrschluss sinkt bei den alten Aktionären die verbriefte Eigentümerschaft am Unternehmen pro Aktie von 1% auf 0,5%. Das heißt, die alten Eigentümer besitzen nur noch die Hälfte am Unternehmen. Sie haben weniger Mitspracherecht und müssen sich zukünftige Gewinne mit doppelt so vielen Aktionären teilen, wie bisher.

Wenn also neue Aktien herausgegeben werden, ohne, dass damit ein Wachstum des Unternehmens und somit steigende Gewinne pro Aktie erwartet werden, ist das für den Aktionär grundsätzlich nachteilig. Der Wert der Aktie fällt. Sie wird nicht günstig, sondern billig.


Besonders deutlich wird es am Beispiel der Deutschen Bank. Im Geschäftsjahr 2010 war das Kapital auf 790,8 Mio. Aktien aufgeteilt und der Jahresschlusskurs der Aktie lag bei 33,25€. Ende 2019 war das Kapital bereits auf 2110,0 Mio. Aktien gestückelt, was in etwa einer Verwässerung um den Faktor drei entsprach. Gleichzeitig fiel der Kurs der Aktie auf 6,92€: Während also die Anzahl der ausstehenden Aktien um 266% gestiegen ist, ist der Kurs pro Aktie um 79,8% gefallen. Also, ist die Deutsche Bank Aktie nun günstig oder billig?

Zunehmende Verschuldung
Unternehmen haben die Möglichkeit sich zu verschulden. Die Schulden können dazu genutzt werden um beispielsweise Konkurrenten zu kaufen oder in neue Wachstumsfelder zu investieren. Schulden an sich sind daher nichts Negatives, doch wie so oft heißt es hier: Die Dosis macht das Gift.

Denn wenn die Verschuldung zu hoch ist, muss das Unternehmen einen immer größeren Teil des Gewinnes dazu verwenden, für seine Schulden Zinsen zu zahlen. Es bleibt also immer weniger Geld für Investitionen oder Dividenden übrig. Darunter leidet die Bonität, sodass neue Kredite nur zu höheren Zinsen aufgenommen werden können. Häufig setzt dann eine Abwärtsspirale setzt ein. Irgendwann muss das Unternehmen seine profitablen Geschäftszweige verkaufen, um die Verschuldung zu reduzieren.

Als die Deutsche Lufthansa diesen Sommer „gerettet“ wurde, erhielt sie vom Staat 300 Mio. EUR Eigenkapital sowie zusätzlich 8,7 MRD an Krediten [4]. Plakativ gesagt: Für jeden Euro Eigenkapital hat die Lufthansa zusätzlich ca. 30 Euro an neuen Schulden aufgenommen. Das verändert die finanzielle Stabilität massiv, denn Zinszahlungen und Tilgungen dieser Schulden werden das Unternehmen noch auf Jahre belasten. Es überrascht mich daher, dass der Aktienkurs seit Jahresanfang um nur 53% gefallen ist [5].

Kurzum: Die Verschuldung eines Unternehmens beeinflusst sehr stark dessen Wert. Daher sollten Investoren immer darauf achten, wie sich die Verschuldung des Unternehmens entwickelt. Fällt der Aktienkurs, weil viele neue Schulden aufgenommen werden müssen, ist die Aktie nicht günstig, sondern billig. Und das ist gefährlich.

Die absolute Höhe der Schulden zu betrachten ist dabei nicht zielführend. Vielmehr sollten sie in Relation zum erzielten Gewinn nach Steuern gesetzt werden. Denn je mehr Jahresgewinne komplett abgeführt werden müssten, um die Schulden des Unternehmens zu begleichen, desto kritischer ist dessen finanzielle Situation. Ein Blick auf einige internationale Unternehmen der Telekombrache verrät zum Ende des Geschäftsjahres 2019 folgende Netto-Verschuldungsgrade, also die Summe des Fremdkapitals minus der Cashbestände geteilt durch den erzielten Nettogewinn:


Anhand der Tabelle ist zu sehen, dass der spanische Telefónica Konzern über 80 Jahresgewinne vollständig abführen müsste, um seine Schulden zu begleichen. Bei der Deutschen Telekom sind es immerhin etwa 34 Jahresgewinne. Beides sind sehr hohe Werte. Einzig der US-amerikanische Verizon Konzern kommt auf einen Verschuldungsgrad von ca. 12, was als angemessen betrachtet werden kann. Bei Vodafone hingegen ist die Berechnung unsinnig, da in 2019 ein Verlust von ca. 8 MRD GBP erzielt wurde und der Verschuldungsgrad somit negativ ist.

Fundamentale Bedrohung des Geschäftsmodells und wirtschaftlicher Ausblick
Das Geschäftsmodell eines Unternehmens ist von höchster Bedeutung für dessen Rentabilität. Jeder Investor muss es grob verstehen und dessen zukünftige Aussichten zumindest einschätzen können. Denn das Fundament, auf dem das Geschäftsmodell ruht, kann sich schleichend oder abrupt verändern und so zu völlig neuen Rahmenbedingungen und damit wirtschaftlichem Ausblick für das Unternehmen führen. 

Ursachen für eine fundamentale Bedrohung des Geschäftsmodells sind vielfältiger Natur. Sie können etwa politisch gewollt (Atomausstieg der Bundesregierung, der die Energieversorger wie EON und RWE dazu gezwungen hat, ihre profitablen Kraftwerke abzuschalten), als Folge von technologischem Wandel (als Google Maps auf jedem Handy kostenlos hochwertige Navigationsdienste verfügbar machte, brach die Nachfrage nach Geräten von TomTom massiv ein) oder gesellschaftlich initiiert werden (durch Lockdown, Home-Office sowie Online-Meetings sinkt der Bedarf nach Geschäftsreisen und -flügen, was im Überangebot an Rohöl mündet. Auch der Bedarf nach Mietwagen, Flugzeugen und Hotelzimmern wird mittelfristig gering bleiben).

Führen veränderte Rahmenbedingungen zu einer fundamentalen und langfristigen Beeinträchtigung des Geschäftsmodells sowie zukünftiger Aussichten des Unternehmens, ist der Kursverfall einer Aktie höchstwahrscheinlich begründet.

Unternehmensumbau und Großakquisitionen
Um auf Veränderungen zu reagieren, werden Unternehmen häufig umgebaut. Oder aber sie kaufen ihre Wettbewerber einfach gleich komplett auf. Auch hier gilt, dass Umbau- und Übernahmeaktivitäten in geringen Dosen sehr gesund sein können, doch sobald ein fundamentaler Umbau größerer Teile oder gar des ganzen Unternehmens stattfindet, ist Vorsicht geboten. Denn Umbaumaßnahmen sind teuer und binden Ressourcen, die im operativen Geschäft dringend benötigt werden. Häufig werden außerdem versprochene Spar- und Renditeziele nicht erreicht.

Ähnliches gilt für Akquisitionen. Grundsätzlich ist es sehr sinnvoll, wenn Unternehmen andere Unternehmen und ihre Technologien kaufen um sie anschließend in den eigenen Konzern zu integrieren. Dadurch können neue Produkte entstehen und Gewinne wachsen. Doch die Verhältnismäßigkeit der Übernahme sollte stets bewahrt werden. Das Risiko insbesondere bei Großübernahmen, also wenn ein Unternehmen einen direkten, in etwa gleich großen Wettbewerber aufkauft, ist immens: Häufig ist der Kaufpreis extrem hoch und muss durch neue Schulden finanziert werden. Zinszahlungen und Tilgungen belasten anschließend die Gewinne des entstandenen Unternehmens überproportional.

In der bis dato größten Übernahme der Geschichte kaufte Vodafone im Jahr 1999 die deutsche Mannesmann für über 200 MRD USD. Ein Flop wie sich herausstellte und am Aktienkurs von Vodafone zu sehen ist. Auch für Bayer endete die Übernahme des Wettbewerbers Monsanto im Desaster: Nicht nur stellten sich die 54 MRD USD Kaufpreis als zu hoch heraus, sondern führen zahlreiche Gerichtsprozesse zu Imageschäden und möglichen Strafzahlungen.

Deutlich besser macht es beispielweise Johnson & Johnson aus den USA, einer der größten Gesundheitskonzerne der Welt: Dort gehören Übernahmen zur Routine. Die Größenordnung der gekauften Unternehmen liegt jedoch selten bei mehr als einem Jahresgewinn von Johnson & Johnson, sodass das Risiko eines Fehlkaufs relativ gering und gut verkraftbar ist.

Kaufe günstig, aber niemals billig!

Intelligente Investoren erkennen also, ob eine Aktie billig geworden ist und an fundamentalem Wert verloren hat, oder ob der Kurs unberechtigt gefallen ist und die Aktie günstig wird. Letzteres kommt in regelmäßigen Abständen vor, wenn an der Börse auf eine Phase der Übertreibung und Rekorden, Ernüchterung und Crashs folgen. Wer dann im richtigen Moment günstige Aktien kauft, hat sehr gute Chancen, über Jahre und Jahrzehnte hohe Renditen zu erzielen!

Das Quellenverzeichnis zu diesem Eintrag findest Du hier.

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Vielen Dank und viel Spaß beim Weiterlesen,
Dein Andy
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